Es ist eine Tugend, fest verankert im gesellschaftlichen Bewusstsein. Durch Anstrengung erfolgreich zu sein ist ein positives Gut, das aus Erfahrung und historischer Entwicklung eine tragende Säule unserer Republik bildet. Der Wiederaufbau unseres Landes nach dem Zweiten Weltkrieg durch die unermüdliche Arbeit der Trümmerfrauen und das darauf folgende Wirtschaftswunder sind nur zwei plakative Beispiele.
Erfolgreich und gut zu sein trägt zu einem gesunden Selbstbewusstsein bei und hilft dem Individuum zur Selbstverwirklichung. In den letzten Jahren beobachten wir allerdings einen gesellschaftlichen Transformationsprozess. Aus erfolgreich wird erfolgreicher, aus gut besser und aus der Selbstverwirklichung ein immenser Leistungsdruck.
Wir schicken unsere Kinder in englischsprachige Kindergärten, bevor sie ihren ersten zusammenhängenden Satz aussprechen. Private Nachhilfeinstitutionen verdienen bereits an Grundschulkindern Millionen, damit diese den Sprung auf das beste Gymnasium schaffen, um weiterhin- ganz kindgerecht- in einem homogenen Bildungs-Eliten-Umfeld heranzuwachsen.
Das Ziel ist nicht mehr die Auszeichnung mit einem akademischen Titel, das Ziel ist ein summa cum laude an einer Eliteuniversität. Dieser Erfolgsdruck zieht sich nicht nur durch unser ganzes Leben, es fördert den Weg zu einer Zweiklassengesellschaft. Ein Druck, dem wir uns beugen müssen, dem wir uns nicht entziehen, den wir nicht aufhalten können.
Die staatlich subventionierte Ellenbogengesellschaft macht uns krank und lässt viele zurück. Anstatt die wichtigen Probleme an Hochschulen anzugreifen (Doppeljahrgänge, Umsetzung der Bologna-Reform, etc.), treibt der Staat eine Exzellenzinitiative voran, die die Hochschulen nicht ignorieren können. Die müssen sich dem Druck beugen und ihre Kapazitäten in Prestigeprojekte stecken. Wichtige Neustrukturierungen einzelner Studiengänge und ihrer Abschlüsse bleiben dadurch auf der Strecke.
Man kann aber auch früher ansetzen: Die von der Union geführte Nichtregierungsorganisation hat berechtigte Panik, das angestrebte Ziel der Betreuungsplatzgarantie nicht zu erreichen. Sie hat das Problem wieder mal ausgesessen und führt nun eine Betreuungsprämie für Eltern ein, die ihr Kind nicht in die Kita schicken. Ein weiterer selektiver Anreiz zur Spaltung der Gesellschaft.
Diejenigen, die es sich leisten können, auf die Herdprämie zu verzichten, schicken ihr Kind in die Musik- oder Fremdsprachenkita. Die anderen, nennen wir sie ganz offen Verlierer, können auf das Zubrot nicht verzichten. Beide, Gewinner und Verlierer der Bildungspolitik wollen das beste für ihre Kinder. Leider ist das für die einen der Klavierunterricht und für die anderen eine warme Mahlzeit oder ein Paar Winterschuhe. Der Weg für die unterprivilegierten in unserer Gesellschaft ist ein steiniger und unsolidarischer.
Und was titeln die Magazine, was sagen Ärzte und Cultural Intellectuals? BURNOUT! Die halbe Gesellschaft leidet angeblich unter dem Burnout-Syndrom. Untersuchungen zeigen allerdings, dass dies nicht der Fall ist. Ärzte attestieren zu leichtfertig und schaffen damit eine nicht existente Volkskrankheit.
Ein zumindest subjektives Luxusproblem der Gewinner. Sie haben Arbeit, Geld und volle Kühlschränke. Sie sind gestresst, aber nicht krank. Und die andere Hälfte, die der Verlierer? Sie leidet unter Depressionen, unter sozialem Scham, sie gehören nicht dazu. Sie geraten in Vergessenheit. Auch hier wird zu häufig und zu gern übertrieben. Doch auch die überzogenen Debatten haben einen wahren Kern: Wir leben in einer Zweiklassengesellschaft, jedes Milieu homogen für sich und voller Angst vor dem anderen.
Musiktipp des Tages: Kraftklub - Ritalin/Medikenet
Zum Autor:
Andreas Cierpiol ist angehender Sozialwissenschaftler und stellvertretender Vorsitzender der Dortmunder Jusos.
Dieser Artikel ist seine private Meinung und steht nicht im Zusammenhang mit seinem politischen Amt.
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